Gartz (Oder)

Brandenburg

Bevölkerungszahl: 2.328
Fläche: 62 km²

  • Solar
  • Wind
© Steffen Kunze

Inmitten des Nationalparks Unteres Odertal, direkt an der deutsch-polnischen Grenze, befindet sich die 2.500 Einwohner*innen zählende Stadt Gartz (Oder). Wer mit dem Fahrrad den Oder-Neiße-Radweg entlang fährt, passiert auch den kleinen Ort in Brandenburg. In der mittelalterlich geprägten Landstadt sind die strukturellen Probleme, die die Uckermark betreffen, spürbar. Gleichzeitig gibt es in Gartz frischen Wind – mit Mut und neuen Ideen, um den Herausforderungen zu begegnen, beleben viele engagierte Bürger*innen und ein junger Bürgermeister das Leben im Ort neu.

Strukturelle Herausforderungen anpacken – mit Erneuerbaren Energien, Bürgerbeteiligung und Tourismus

Einer, der die Herausforderungen angehen und in seiner Heimatstadt etwas bewegen will, ist Luca Piwodda – der Bürgermeister von Gartz. Mit nur 25 Jahren ist er einer der jüngsten Bürgermeister Deutschlands. Mit frischen Ideen für die Zukunft will er mehr Leben in den Ort bringen. Durch Bürgerbeteiligung, Tourismus und Erneuerbare Energien soll Gartz wieder attraktiver werden. Denn lange hat sich in der Stadt nichts mehr getan. Piwodda sowie viele engagierte Bürger*innen möchten das nun ändern: „Am Anfang aller Energieprojekte in der Kommune muss die Bürgerbeteiligung stehen. Erst müssen wir als Stadt die Bürger fragen, ob sie das überhaupt wollen, und im nächsten Schritt darüber sprechen, unter welchen Umständen. Außerdem muss ein konkreter Vorteil für Bürger und Kommune ersichtlich sein. Das geht nur mit Feingefühl und Weitsicht. Auf diesem Weg können Erneuerbare mit hoher Akzeptanz vor Ort zum Wirtschaftsmotor werden“, betont Piwodda. 

Wie viele ländliche Regionen im ostdeutschen Raum kämpft auch Gartz mit verschiedenen Strukturproblemen. Eine Herausforderung ist die alternde Gesellschaft: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist über 65 Jahre alt. Zudem liegt die Arbeitslosenquote in der Uckermark bei 11,5 Prozent, die Zukunft des größten Arbeitgebers der Region ist ungewiss. Die PCK-Raffinerie in Schwedt steht seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine unter Treuhandverwaltung der Bundesregierung, da Russland Anteilseigner der Raffinerie war. Wie es mit dem Betrieb weiter gehen soll, ist bislang ungewiss. Zwar gibt es Pläne zur Umwidmung der Raffinerie um Wasserstoff und im nächsten Schritt von Ammoniak oder Kerosin herzustellen, endgültige Entscheidungen und Antworten stehen allerdings noch aus. Zusätzliche Unsicherheiten und Frust in der Bevölkerung sind die Folge. Wie vielerorts sind die kommunalen Kassen auch in Gartz leer, gleichzeitig gibt es jede Menge Aufgaben. Viele Baulücken und brachliegende Flächen stammen noch aus Zeiten des Zweiten Weltkriegs, als die Stadt zu 80 Prozent zerstört wurde. Auch für Straßenreparaturen oder örtliche Vereine fehlt häufig das Geld. Um Gartz zukunftsfähig und als Wohn- und Lebensort auch für junge Menschen attraktiv zu machen, braucht es Gestaltungswillen, frische Impulse und Mut, neue Akzente zu setzen, ohne das Bekannte vollständig aufzugeben.

Auch der Bürgermeister sieht die Probleme. Aber anstatt sich zu beklagen, dass es kein Geld gibt, überlegt er, wie das fehlende Geld eingenommen werden kann. Die drei zentralen Potenziale für Gartz sieht er in Bürgerbeteiligung, Tourismus und Erneuerbaren Energien. Mit der Stärkung kommunaler Wertschöpfungsketten soll die Stadtkasse gefüllt und durch die Aktivierung des Ehrenamts das öffentliche Leben bereichert werden. 

Chancen ergreifen, wo sie sind und von der lokalen Energiewende profitieren

Seit einem Jahr ist Luca Piwodda nun ehrenamtlicher Bürgermeister in Gartz, einiges hat sich seitdem geändert. Seit September 2025 widmet er sich hauptberuflich seiner selbstständigen Tätigkeit in der Agentur für Mut & Aufbruch. Hier werden gemeinsam mit Städten und Unternehmen neue Bürger*innenbeteiligungsformate entwickelt.

Vor seinem Amtsantritt spielte die Frage, wie man Erneuerbare für den Ort nutzen könnte, kaum eine Rolle. Photovoltaik-Anlagen sucht man auf städtischen Gebäuden vergebens und auch Vorarbeiten zur kommunalen Wärmeplanung, die für kleinere Kommunen bis 2028 verpflichtend ist, wurden bis dato nicht in Angriff genommen. Mittlerweile ist es ein wichtiges Thema, nicht nur aufgrund der gesetzlichen Vorgaben zur Energie- und Wärmewende, sondern auch aus der Überzeugung heraus, dass die Energiewende eine große Chance für Arbeitsplätze und regionale Wertschöpfung darstellt.

Im Ortsteil Hohenreinkendorf ist die Errichtung von sieben Windkraftanlagen geplant. Den offiziellen Startschuss für dieses Vorhaben gab die Stadtverordnetenversammlung im Juli 2025 mit einem Aufstellungsbeschluss. Der Windpark soll genossenschaftlich betrieben werden – ein Modell, das erst durch mehrere Bürger*innenversammlungen und die aktive Beteiligung der Einwohner*innen möglich wurde, wie der Bürgermeister betont.

Zur Diskussion steht auch, ob der Windpark an ein Nahwärmenetz angeschlossen wird. Entscheidend sei, so Bürgermeister Piwodda, dass die Menschen vor Ort spürbare finanzielle Vorteile haben – etwa durch garantierte, dauerhaft niedrige Strompreise. Er begegnet den Gartzer*innen mit Offenheit, erläutert die Pläne und hebt die Chancen hervor: Nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz kann eine Kommune jährlich rund 30.000 Euro pro Windenergieanlage erhalten. Bei sieben Anlagen wären das etwa 210.000 Euro pro Jahr. Zusätzlich fließen Einmalzahlungen von jeweils 10.000 Euro pro Anlage sowie Gewerbesteuereinnahmen in die Stadtkasse. Damit eröffnen sich neue Spielräume für wichtige Investitionen. Erste Ideen gibt es bereits: So sollen etwa der Feuerwehrverein und andere lokale Vereine unterstützt und das historische Bollwerk am Oderufer saniert werden.

Auch andere Projekte im Bereich Energie und Infrastruktur schreiten voran. Die energetische Sanierung der Grundschule, die bereits 2017 angestoßen wurde, soll Ende dieses Jahres abgeschlossen sein – und den Standort zu einer modernen Bildungseinrichtung machen. Auf dem Gelände befinden sich zudem zwei Schnellladesäulen für Elektroautos, die bereits in Betrieb sind.

Darüber hinaus wurden im vergangenen Jahr Mittel im Stadthaushalt bereitgestellt, um die Straßen- und Wegebeleuchtung in Gartz auf moderne LED-Technik umzurüsten. Das Vereinsheim des größten örtlichen Vereins, des SV Blau-Weiß 90 Gartz (Oder) e.V., erhält aktuell eine Solaranlage. Und mit dem neu geschaffenen Ausschuss, der sich unter anderem dem Thema Energie widmet, setzt die Stadt ein deutliches Zeichen: Nachhaltigkeit und Klimaschutz sollen nicht nur Schlagworte bleiben, sondern in konkrete Taten umgesetzt werden.

Um den Tourismus zu fördern, sollen bereits bis zum Beginn der Saison 2026 unter anderem eine Fußgängerzone am Oderufer, ein Fischrestaurant und ein Infopavillon am Eingang des Nationalparks entstehen. 

Viele Bürger*innen wollen sich aktiv an der Gestaltung der Energiewende beteiligen und die Potenziale für den Ort und die Menschen nutzen. Neben Zustimmung und Engagement stoßen die Pläne der lokalen Energiewende aber auch auf Vorbehalte in der Bevölkerung. In einer Bürgerversammlung wurde das Vorhaben umfassend diskutiert, sodass Sorgen und Anliegen Raum erhielten und ernst genommen wurden. Schließlich zeigte sich ein Großteil damit einverstanden, den Versuch mit Erneuerbaren Energien zu wagen. Das zeigt: Die Menschen wollen konkrete Lösungen für die Probleme im Ort und sind dabei auch offen gegenüber neuen, modernen Ansätzen der dezentralen Energiewende. Obwohl die Hälfte der Gartzer*innen bei den Bundestagswahlen 2025 die AfD wählte, erfährt der Bürgermeister, der mit Erneuerbaren Energien sein Geld verdient, großen Rückhalt in der Bevölkerung. Entscheidend ist für ihn eine offene und ehrliche Kommunikation, um die Menschen in Gartz bei gesellschaftlich wichtigen Themen und Prozessen einzubinden und mitzunehmen. Auch junge Menschen sollen eine Stimme erhalten und sehen, dass es sich lohnt Verantwortung zu übernehmen und sich zu engagieren. In den sozialen Medien berichtet er jede Woche über aktuelle Themen im Gartzer Rathaus.

Innerhalb eines Jahres wurde bereits Vieles in die Wege geleitet und umgesetzt. Eine BMX-Strecke wurde bereits ehrenamtlich errichtet und die „Kulturallianz Gartz“ ins Leben gerufen, ein Verein, der in der Stadt Konzerte, Theater- und Filmvorführungen sowie andere Veranstaltungen organisiert. Ein neuer Nachbarschaftstreff im Alten Gaswerk wurde als Brandenburger Landessieger beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet. Der Weg ist nicht einfach: Es braucht viele Menschen, die bereit sind gemeinsam etwas zu verändern. Doch die Voraussetzungen sind gut, dass sich dank des frischen Schwungs, regionaler Wertschöpfung durch Erneuerbare Energien und motivierten, tatkräftigen Bürger*innen in Gartz vieles bewegt und erreicht wird.

Veröffentlicht: September 2025